Haben Sie ein Motiv?

Haben Sie ein Motiv?

Wir alle schreiten durch die Gasse, aber einige wenige blicken zu den Sternen auf.

Oscar Wilde


In diesem Beitrag möchte ich die essentielle Frage jedes Malers und jeder Malerin beleuchten: Was soll ich eigentlich malen?
„Ich habe kein Motiv“, ist kein Zitat aus einem Psycho-Krimi, sondern, nicht selten, der hilflose Ausruf von Teilnehmern in Malkursen.

 

Aber von Anfang an:
Einen gewissen Umfang malerischer Fertigkeiten solide zu vermitteln, sollte für einen guten Malereidozenten kein Ding der Unmöglichkeit sein. Wenn alsdann der Student die malerischen Ausdrucksmittel halbwegs gelernt hat, ist auf Dauer das größte Problem noch immer gegenwärtig: Was um Gottes Willen soll man denn heute noch malen!

Es gibt doch schon alles gemalt in Millionen Varianten: Die Figuren, die Akte, die Portraits, die Landschaften, alle Arten von Stillleben, das Tierreich rauf und runter, Städte, Straßen, Pflanzen, und die Kombinationen von allem. Dann alle Arten von Abstraktionen vom einfachen Farbfleck bis zu den komplexesten malerischen Variationen. Alle Stile werden zu NeoStilen. Alles Alte wird wieder hervorgeholt, neu „interpretiert“, umgewandelt, angepasst und in der Malereimaschiene verwurstet.

 

Was soll man da heute noch malen?
Hin und wieder werde ich von verunsicherten Teilnehmern gefragt ob man heute noch Blumen malen kann? Es hat noch keinem nachweislich geschadet, antworte ich manchmal, weiß aber insgeheim, dass es um das Problem des Kitschverdachtes geht. Verzweifelt werden die Fotogalerien des World Wide Web nach Malereivorlagen durchwühlt in der Hoffnung ein super frisches, nicht-kitschiges, „modernes“ Bild zu finden, ein Bild das beeindruckt, das in Malerei verwandelt Furore macht. Dieses Verhalten als flach und erschütternd unkünstlerisch zu bezeichnen, wäre noch deutlich untertrieben. Unabhängig von Urheberschafts-Fragen sollte niemand auf die Idee kommen die Arbeiten und Ideen eines engagierten Künstlers oder Künstlerin zu kopieren und in eine „eigene“ Malerei zu verwursten. Solche Zeitgenossen umgehen einen wesentlichen Teil des künstlerischen Prozesses, nämlich die Suche nach dem EIGENEN (und nicht nach dem Geklauten) Malereimotiv. Und sie belügen sich selbst. Wer keine Ideen für Bilder hat sollte daran arbeiten, dass er welche bekommt und nicht einfach der eigenen Bequemlichkeit folgen. Wer einen guten Lehrer hat wird immer wieder darauf hingewiesen werden seine eigenen Bilder zu finden und er/sie wird lernen wie man diesen Weg gehen kann. Ein schlechter Lehrer wird das Thema gar nicht ansprechen und die unendlich wichtige Erkenntnis, dass der kreative Prozess, lange bevor man vor der weißen Leinwand steht, bereits begonnen haben muss, schlicht ignorieren. Sehr oft beobachte ich in meinem Unterricht, dass Aufmerksamkeit durch das Besondere gesucht wird.

 

Als Ergebnis entstehen oft Bilder, die das tatsächliche Leben der Teilnehmer nicht im Geringsten berühren. Das Opernhaus von Sydney in der Abendsonne, der Orang-Utan im Nebel, der Dogenpalast in Venedig, der Strand von Agadir, die Mangrovenwälder von Irgendwo, was zu Teufel hat das mit jemandem zu tun der 99,9 % seiner Zeit in zB Frechen oder Mühlheim verbringt. Selbst wenn die Fotos mit dem eigenen Smartphone eingefangen, und nicht nur aus den Netz gefischt wurden, entbehren sie in den allermeisten Fällen jeglichem künstlerischen Anspruch.

 

Klar gab es immer Künstlerreisen zu Sehnsuchtsorten, um der eigenen engen Welt zu entkommen, um den künstlerischen Horizont mit neuen Eindrücken zu erweitern, wie es die Italienreisenden im 18. Jahrhundert taten. Nur sind diese Künstlereisen nicht mit den touristischen Bildungs- und Erholungsreisen von heute zu vergleichen. Der Künstler, wenn er auf Reisen war (oder ist), nahm sich die Zeit tief in die Kultur und Atmosphäre eines Ortes einzutauchen. Heute würde man das vielleicht eine „Ortsbezogene Arbeit“ nennen. Da wurde nicht hektisch das Smartphone gezückt um Kolosseum, Spanische Treppe, Forum Romanum und was sonst noch im Reiseführer steht abzuschießen. Um einen Ort künstlerisch zu erschließen braucht es vor allem Zeit und Gefühl. Eine gute Lösung wäre es zu zeichnen, vor Ort zu zeichnen. Beim Zeichnen ist die Aufmerksamkeit geschärft, man spürt der Wind, man sieht den Schatten wandern, man riecht, man schmeckt, man fühlt. Lassen Sie Ihren Fotoapparat im der Tasche (wenn Sie kein Fotograf sind) und nehmen Sie das Skizzenbuch. Das Erlebnis ist einzigartig. Auch wenn die Zeichnung in Ihren Augen nicht toll wird, sie ist wenigstens Ihre, authentisch und ehrlich.

Traurig ist es, wenn man das eigene Dasein und die Bilder die das eigene Dasein produziert als so uninteressant begreift, dass man nicht auf die Idee käme, den eigenen Alltag zu Grundlage seiner Malerei zu machen. Doch nur dort findet man alles!

 

Zurück nach Frechen, Troisdorf oder Wesseling.

 

Um eigene, lebendige, große Malereien entstehen zu lassen muss niemand bis an Ende der Welt reisen (im Netz oder mit Tui) um scheinbar spektakuläre Motive zu finden, die in Wahrheit verbrauchte Abziehbilder einer nicht erlebten Wirklichkeit sind.

 

Auch wenn unsere aktuelle Umgebung nicht unseren Idealvorstellungen und Wünschen entspricht, enthält sie doch alles wir für unsere Kunst brauchen. Wir starren in die Ferne und übersehenden Zauber, der vor unserer Nase funkelt. Das schräge Sammelsurium auf der Fensterbank hat bestimmt mehr künstlerisches Potential als das edelste Arrangement in einem Lifestyle-Magazin. Der verhuschte Schnappschuss des eigenen Haustiers besitzt mit Sicherheit einen größeres künstlerisches Moment als das hochgelobte Tigerfoto eines Magnum-Fotografen.

 

Je weniger Theorien und ästhetische Konzepte Sie sich aufladen, desto freier wird der Blick auf das wirklich Eigene. Sie müssen keine bestehenden Erwartungen an Bildmotive erfüllen. Im Gegenteil, schöpfen Sie aus sich und Ihrer alltäglichen Umgebung neues, schräges, unerwartetes. Seien Sie subversiv, verweigern Sie sich verbrauchter, kruder Schönheitsideale. Gehen Sie eigene Wege. Suchen Sie eigene Sichtweisen. Dann schaffen Sie neue Räume.

 

Viel Freude bei der Arbeit.

 

Volker Altrichter, Künstler und Dozent